Depressionen gehören in Deutschland zu den Volkskrankheiten – rund vier Millionen Menschen sind laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation davon betroffen. Aber wie fühlt sich das eigentlich an, depressiv zu sein? Im dritten Teil der Gesundes-Bayern-Artikelserie „Stress lass nach“ erzählt eine Betroffene von ihren Erfahrungen

Drei Monate verbrachte unsere Gast-Autorin Ines in der psychosomatischen Privatklinik im bayerischen Kneippheilbad Bad Grönenbach. Die 31-Jährige leidet an Depressionen, seitdem sie sich erinnern kann. Das ist ihre Geschichte.

Eines vorweg: Ich entspreche ganz und gar nicht dem Klischee einer Depressiven, wie Sie es vielleicht aus den Medien kennen. Ich arbeite, treibe Sport, habe wenige, aber enge Freunde, einen Partner und pflege den Kontakt mit meiner Familie. Uni-Prüfungen habe ich als Jahrgangsbeste bestanden. Ich bin weder andauernd freud- oder hoffnungslos noch nehme ich meine Umwelt wie durch einen Schleier wahr.

Gleichzeitig bin ich seit Jahren in therapeutischer Behandlung. Jeden Tag aufzustehen, Smalltalk, essen und trinken, kostet mich viel Kraft. Ich verbringe die meisten Wochenenden isoliert. Damit habe ich das, was Ärzte und Therapeuten im englischsprachigen Raum als „high functional depression“ bezeichnen. Übersetzt: hoch-funktionale Depression, fachsprachlich: Dysthymie.

Dysthymie: funktionieren, aber nicht leben

Das Erstaunliche daran: Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es schon einmal anders war. Von klein auf haben mich Sorgen, Angst und Nervosität auf Schritt und Tritt begleitet. Während andere Kinder unbeschwert gespielt und mit Gleichaltrigen getobt haben, war ich am liebsten allein. In der Schule machte ich mich unsichtbar – und hatte deshalb schlechte Noten in mündlicher Beteiligung. Später füllte ich meine innere Leere mit Alkohol.

Erst während meiner stationären Therapie in der psychosomatischen Privatklinik Bad Grönenbach lerne ich, dass ich unter einer leichteren, aber chronischen Form der Depression leide, einer sogenannten Dysthymie.

Dass ich schon als Kind anders war als andere, ist also kein Zufall – meine Depression ist angeboren. Doch warum habe ich mich überhaupt für einen stationären Aufenthalt entschieden, wenn mir mein Alltag zwar Kraft raubte, mich aber nicht vor unüberwindbare Hürden stellte?

Dysthymie trifft depressive Episode: abrutschen in die „Doppeldepression“

Schließlich wirkt von außen doch alles perfekt. Beziehungsweise „wirkte“ es perfekt. Denn wer, wie ich, immer nur rennt, sich ablenkt und Probleme vor sich herschiebt, für den reicht irgendwann ein kleiner Schubs – und schon bricht alles zusammen. Meinen, gar nicht mal so kleinen, Schubs habe ich 2016 bekommen. Als mein Freund mich nach fast fünf Jahren Beziehung für eine Andere verließ, stürzte meine notdürftig zusammengehaltene Welt endgültig ein.

Einschlafen, aufstehen, essen, duschen – alltägliche Dinge, die vorher zwar herausfordernd, aber nicht unmöglich waren, wurden auf einmal zu unüberwindbaren Hindernissen. Ich verließ das Haus nicht mehr und schaltete mein Telefon ab. Obwohl ich nicht schlafen konnte, blieb im Bett bis meine Beine anschwollen und rot anliefen.

Als ich dann noch einen wichtigen Termin, eine Prüfung, für die ich monatelang gelernt habe, verpasst habe – etwas, dass mir unter „normalen“ Umständen nie passiert wäre – stand endgültig fest: So geht es nicht weiter. Ich brauche Hilfe. Und zwar mehr als die wöchentliche Stunde bei meiner Therapeutin. Auf ihre Empfehlung, mit zitternden Händen und nach einigem Zögern, rufe ich schließlich in Bad Grönenbach an. Genauer gesagt: in der dort ansässigen psychosomatischen Privatklinik.

Stationäre Therapie: der erste Kontakt

Meine Sorge, unfreundlich abgefertigt zu werden, stellt sich als unbegründet heraus: Telefonisch kläre ich mit einem verständnisvollen Mitarbeiter alle Fragen, zum Beispiel wie ich die Therapie finanziere und wer die Kosten übernimmt.

Auch einen Bogen zur Selbstauskunft lade ich herunter und fülle ihn pflichtbewusst aus. Neben den erwarteten Fragen zu meinen Symptomen wollen die Ärzte auch etwas über meine körperliche Verfassung erfahren. Das wundert mich. Trotzdem antworte ich wahrheitsgemäß: Ja, ich habe Rückenschmerzen. Ja, ich habe Migräne. Und: ja – ich habe fast täglich Magenkrämpfe.

Was ich ganz gut finde: Hier hat jeder Patient einen eigenen, ihm fest zugeordneten Therapeuten, der ihn von Anfang an begleitet. Mir, als Mensch, der nur schwer anderen vertraut, gefällt diese Verbindlichkeit. Meine Therapeutin, eine Frau Mitte 40 mit freundlichen, wachen Augen, begrüßt mich nach dem Einchecken herzlich. Vom Empfang geht es weiter durch den lichtdurchfluteten, von dichten Bäumen umgebenen Bau, zur medizinischen Untersuchung und einem Vorgespräch.

Stationäre Therapie in Bad Grönenbach: mein „Aha“-Moment

Nachdem sie mir Blut entnommen hat, erklärt mir meine Therapeutin die Hausregeln: „Während Ihres Aufenthalts sollten Sie möglichst auf Alkohol verzichten“, sagt sie und registriert meinen etwas enttäuschten Blick.

„Alkohol und andere Drogen beeinflussen unsere Hormone und Botenstoffe im Gehirn – und damit auch, wie gut wir uns fühlen“, fügt sie hinzu. „Das ist während einer Therapie ungünstig, da sie Ihre Stimmung kurzfristig erhöhen – und anschließend wieder in den Keller sacken lassen. Wir wollen, dass Sie während der Therapie auf Ihrem ‚normalen Stimmungsniveau‘ bleiben. Einverstanden?“, fragt sie mich. Das leuchtet mir ein. Ich willige ein – schließlich will ich, dass es mir endlich besser geht.

Am Ende des Gespräches bleibt ihr Blick an der letzten Frage des Aufnahmebogens hängen. „Ich sehe“, sagt sie und mustert mich dabei aufmerksam, „dass Sie eine Frage nicht beantwortet haben“. Natürlich weiß ich sofort, welche Frage sie meint. „Ach ja?“, sage ich und höre selbst, wie gekünstelt das klingt. Sie lächelt mich an: „Die Frage lautet: ‘Was schätzen und mögen Sie an sich besonders‘?“. Ich starre auf meine Füße. Mir fällt absolut nichts ein, was ich darauf antworten könnte. Schweigen.

„Ich kann mich gut in andere hineinversetzen, bin mitfühlend und habe einen starken Sinn für Gerechtigkeit“, leiere ich schließlich herunter, weil das die Dinge sind, die Menschen immer wieder über mich sagen. Ob ich das auch glaube, ist eine andere Frage.

„Glauben Sie das auch?“, fragt mich die Therapeutin mit einem Blick über ihre Brille, so als hätte sie meine Gedanken gelesen. Ich schlucke. Und sage nichts. „Ich bin mir sicher, wir finden gemeinsam eine Antwort auf diese Frage“, sagt sie mit mitfühlendem Lächeln. In diesem Moment realisiere ich: Vor mir liegt ein riesengroßer Berg Arbeit.

Depressionstherapie: ankommen – und loslassen (?)

Jetzt sollte ich vermutlich schreiben: „Ich habe mich direkt wohlgefühlt und den Aufenthalt von Anfang an genossen“. Doch das wäre gelogen. Tatsächlich schwirren in meinen ersten Tagen in Bad Grönenbach viele verschiedene Gefühle in meinem Kopf durcheinander – die meisten davon negativ. Ich vermisse mein gewohntes Umfeld, finde mein helles, großzügiges Einzelzimmer mit Balkon und Blick ins Grüne „viel zu steril“, habe Angst vor den Mitpatienten, die ich mir – geprägt durch Film und Fernsehen – wie von einem anderen Planeten vorstelle.

Schnell stellt sich dieses Vorurteil als falsch heraus. Erfahrenere Patienten empfangen die Neuankömmlinge, zeigen ihnen das Haus und nehmen sie mit, zum Filme schauen oder Kickern in einem der Aufenthaltsräume. Schnell spüre ich: Hier sind Menschen, die zwar anders sind als ich, aber im Kern ähnliche Schwierigkeiten im Alltag haben. Sofort fühle ich mich etwas weniger einsam. Trotzdem verbringe ich die ersten Tage, abgesehen von den Einzelsitzungen mit meiner Therapeutin, ein wenig autogenem Training und progressiver Muskelentspannung, allein.

Wege aus der Depression: neue Kraft für den Alltag

Doch schließlich – die Wende: Während mir für morgendliche Aktivitäten wie der einstündigen Meditation bei Sonnenaufgang oder Frühsport im hauseigenen Fitnessstudio in den ersten Tagen noch jede Kraft gefehlt hat, traue ich mich schließlich aus meinem Schneckenhaus – zumindest ein wenig. Dafür verantwortlich: Meine lieben „Mitstreiter“, die mich mit ihrer Herzlichkeit berühren und mitreißen. Schon bald nehme ich fast alle Aktivitäten aus meinem Therapieplan wahr.

Schon etwas befreiter hüpfe ich bei der Tanztherapie durch den Raum und muss über meine eigenen Verrenkungen lachen. Erst etwas peinlich, finde ich es nach einer Weile sogar ganz lustig. Beim Ressourcentraining in der Gruppe merke ich, dass meine Freunde vielleicht doch nicht Unrecht haben, wenn sie mich als mitfühlende, gute Zuhörerin beschreiben. Und beim Bergwandern im Unterallgäu genieße ich die frische Bergluft. Weit weg von Handys und Computern entdecke ich meine eigene Stärke neu.

Bei unserem Abschiedsgespräch fragt meine Therapeutin noch einmal nach meinen Stärken – und muss sich ein Schmunzeln verkneifen: Auf einmal fallen mir viele Dinge ein, die mich als Menschen ausmachen. Bin ich nun geheilt? Nein. Aber ich nehme viel neue Kraft, Ressourcen und wunderbare Erinnerungen mit in meinen Alltag, die mir Energie schenken, wenn ich sie brauche.

Sie leiden an Depressionen und denken über einen stationären Aufenthalt nach? In unserem Gesundheitsfinder lesen Sie mehr über das Konzept der Psychosomatischen Privatklinik Bad Grönenbach!

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Redaktion GESUNDES BAYERN

Hier schreiben GESUNDES BAYERN-Kolleginnen sowie Gesundheitsexpert/Innen aus den bayerischen Heilbädern und Kurorten.

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